Deutsche und Franzosen: eine gemeinsame Erinnerungspflicht

Im August 1813 startete Napoleon eine Generaloffensive, um Berlin einzunehmen. In Jüterbog, 70 km südlich, vereinigten sich die preußischen und russischen Truppen unter den Generälen von Tauentzien und von Bülow (Preußen) und die schwedischen Truppen unter Jean-Baptiste Bernadotte – Napoleons ehemaligem Marschall -. Nachdem die Nordarmee den Vormarsch der französischen Armeen unter Marschall Ney und General Oudinot auf Berlin gestoppt hatte, fügte sie ihnen eine vernichtende Niederlage zu. 10.000 Tote und Verwundete auf preußischer Seite, 22.000 auf französischer Seite, die entweder tot, verwundet oder in Kriegsgefangenschaft waren.

— Jüterbog und Berlin, den 6. September 2023 —

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Français et Allemands : un devoir de mémoire partagé
Schlacht von Dennewitz
Schlacht von Dennewitz von alexander Wetterling (Schwedisches Nationalmuseum)

Sehr viele Verwundete starben, weil sie nicht angemessen versorgt wurden. Um eine Epidemie zu vermeiden, wurden ihre Leichen zusammengelegt und in einem Massengrab auf einem Gelände beigesetzt, das zum « Friedhof der Franzosen » wurde.

1883 ließ der französische Staat zu ihrem Gedenken ein erstes Denkmal errichten und ein zweites zu Ehren der französischen Kriegsgefangenen, die während ihrer Gefangenschaft in Deutschland nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870-1871 im Lazarett von Jüterbog verstorben waren.

« Es gibt etwas Stärkeres als den Tod, nämlich die Anwesenheit der Abwesenden im Gedächtnis der Lebenden (Jean d’Ormesson)

Dietlind Biesterfeld
Dietlind Biesterfeld, stellvertretende Landrätin: « Die deutsch-französische Freundschaft ist ein Gut, das nicht selbstverständlich ist »

Die Finanzierung dieser Restaurierung wurde je zur Hälfte von der Gemeinde Jüterbog und der Region auf Initiative des brandenburgischen Heimatvereins Jüterboger Land e.V. organisiert.

Jörg Podzuweit
Vorsitzender des Heimatvereins Jüterboger Land e.V. – Foto UFE-Berlin

An diesem Jahrestag des 6. September haben die Behörden die französische Militärmission in Berlin eingeladen, die durch Fregattenkapitän Matthieu Leonelli, Marine Attaché, vertreten sein wird, sowie die Vertreter der in Berlin ansässigen französischen patriotischen Organisationen Union des Français de l’étranger und Souvenir Français, um sie an den Feierlichkeiten zu beteiligen, die einige Worte sagen werden, bevor die Gedenktafel enthüllt wird.

Ansprache von Xavier Doucet, Vorsitzender der UFE-Berlin

  • Sehr geehrte Stellvertretende Frau Landrätin,
  • Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
  • Sehr geehrter Herr Präsident des Heimatvereins Jüterboger Land,
  • Herr Fregattenkapitän,
  • Lieber Joël-François,
  • Meine Damen und Herren,

Im Namen des Vereins Union des Français de l´Etranger – Sektion Berlin, dessen Vorsitzender zu sein ich die Ehre habe, möchte ich Herrn Podzuweit und seinem Verein herzlich dafür danken, dass wir an der Einweihung dieser kürzlich restaurierten Denkmäler teilnehmen dürfen. Diese Stelen erinnern an französische Soldaten, die in Preußen während der Schlacht von Dennewitz und in Deutschland nach dem Krieg von 1870/1871 gefallen sind.

Der Verein der Franzosen im Ausland wurde 1927 gegründet, um den Kriegswitwen der im Ausland lebenden französischen Soldaten Rechte zuzuerkennen. Seit 1936 ist er als gemeinnützig anerkannt. Neben seinen Aufgaben, die darin bestehen, die Rechte der außerhalb Frankreichs ansässigen Franzosen zu verteidigen, ihre Verbindungen zu Frankreich aufrechtzuerhalten und ihnen das tägliche Leben zu erleichtern, ist er auch in der ganzen Welt präsent, um uns an das Opfer der für Frankreich gefallenen französischen Soldaten zu erinnern.

Sénateur Ronan Le Gleut et Xavier Doucet au monument des Français morts pour Berlin
Ronan Le Gleut, Senator der Auslandsfranzosen, und Xavier Doucet am Denkmal der « für Berlin gefallenen Franzosen » — UFE © Archiv Foto

Wir erweisen ihnen diese Ehre jedes Jahr, hier in Deutschland, bei den Gedenkfeiern am 11. November und 8. Mai in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin.

Jahrhundertelang hat sich Europa in Bruderkriegen bekriegt und die Zukunft seiner Länder auf Asche gebaut. Franzosen fielen überall in Deutschland und deutsche überall in Frankreich. Unsere Länder sind mit Friedhöfen von Soldaten bedeckt, die für ihr Land gestorben sind. Bei jeder Gelegenheit ist es unsere Pflicht, ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Sie ermöglichen uns dies heute. Wir sind Ihnen dafür sehr dankbar.

Jörg Raue, Bürgermeister von Jüterbog
Arne Raue, Bürgermeister (parteilos) von Jüterbog: « Um zu wissen, wohin man geht, muss man wissen, woher man kommt » – Foto © UFE-Berlin

Nachdem sich Deutschland und Frankreich zu lange bekämpft haben, sind sie zu Verbündeten geworden, die sich täglich gemeinsam für Frieden und Wohlstand in Europa und der Welt einsetzen. Doch der Frieden bleibt zerbrechlich. Das sehen wir an dem Krieg, der an unsere Türen klopft. Er verlangt von uns vereinte Anstrengungen, um gemeinsam Recht und Freiheit durchzusetzen, zwei Kardinalwerte dieser europäischen Schicksalsgemeinschaft, die wir seit nunmehr 70 Jahren teilen.

Wir danken Ihnen für die Ehre, die Sie uns an diesem Jahrestag erwiesen haben.

Norbert Jannek, directeur du musée de Jüterbog
Museumsleiter Norbert Jannek: « Die Klöster wurden in Militärkrankenhäuser umgewandelt, die Bewohner von etwa 20 umliegenden Dörfern begruben fast 10.000 Kämpfer » – Foto UFE © Berlin

Ansprache von Oberst Joël-François Dumont (R) DGGN/IGAG, Vertreter des Souvenir Français in Berlin und Brandenburg und Delegierter der AASSDN in Deutschland.

  • Sehr geehrte Frau stellvertretende Landrätin, Frau Biesterfeld
  • Sehr geehrter Herr Bürgermeister, Lieber Herr Raue
  • Sehr geehrter Herr Präsident des Heimatvereins Jüterboger Land, Lieber Herr Podzuweit
  • Sehr geehrter Herr Fregattenkapitän Leonelli, Marine Attaché in Berlin
  • Lieber Xavier Doucet,
  • Sehr geehrte Damen und Herren!

lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich Ihre Einladung sehr geschätzt habe und die Erinnerungsarbeit bewundere, die Sie hier geleistet haben, indem Sie auf Initiative des Heimatvereins Jüterboger Land ein Denkmal für die französischen Kriegsgefangenen, die während ihrer Gefangenschaft in Jüterbog 1871 starben, und einen Gedenkstein für die Soldaten, die in Dennewitz an einem 6. September… 1813 verwundet wurden, renoviert haben.

Dies zeugt von der Qualität der deutsch-französischen Beziehungen, die « viel besser ist als das, was man hier und da lesen kann », wie unser Botschafter, S.E. Herr François Delattre, am 13. Juli in Berlin anlässlich der traditionellen Feier der UFE Berlin zum « Fest der deutsch-französischen Freundschaft » in Erinnerung gerufen hat.

Napoléon III et Bismark
Napoleon III. und Bismarck am 2. September 1870 in Donchery nach der Schlacht von Sedan nach Wilhelm Camphausen

Der tiefe Antagonismus zwischen Preußen und Frankreich hat uns teuer, sehr teuer, zu stehen kommen lassen. Abgesehen von dem Unglück, das er auf beiden Seiten des Rheins verursacht hat, wird er auch das Unglück der meisten europäischen Nationen sein. Auf beiden Seiten des Rheins tragen wir unseren Teil der Verantwortung.

Monument de la Paix à Austerlitz
Friedensdenkmal in Austerlitz (Slavkov)

Der französische Sieg in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz am 2. Dezember 1805, gefolgt von den Siegen in Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806, führte zur Demütigung allein Preußens, der größten Armee Europas, bis zu seiner Niederlage im Juli 1807.

Monument de Josef Fanta en souvenir de « la bataille des trois empereurs »
Friedensdenkmal in Austerlitz (Josef Fanta): « Die Schlacht der drei Kaiser » sah Napoleon in Austerlitz großmütig gegenüber den Russen und Österreichern und demütigend gegenüber Preußen. Sein Sieg bei Auerstedt, zehn Monate später, wird mit der Revanche für Sedan (1870) und der Annexion von Elsass-Lothringen eine antifranzösische Bewegung auslösen.

Nach einer Neuordnung der deutschen Staaten durch Frankreich förderte all dies den deutschen Nationalismus und entwickelte eine antifranzösische Stimmung, die zum Deutsch-Französischen Krieg von 1870 und 1871 und zu zwei verheerenden Weltkriegen führte.

Zum Vergleich: Nach der Niederlage von 1706 machte Frankreich in Auerstedt 10.000 Gefangene. Nach der Niederlage von Sedan und der Ausrufung der deutschen Einheit in Versailles bringt Deutschland 400.000 Franzosen in Gefangenschaft nach Deutschland, die auf 200 Orte verteilt werden, zunächst in Festungen und stillgelegten Militärgebäuden, später in eigens für sie errichteten Baracken. Trotz des schlechten Zustands der Gefangenen bei ihrer Ankunft gelang es den deutschen Militärärzten nach und nach, die Sterblichkeitsrate zu senken. Beobachter, vor allem aus der Schweiz und Frankreich, die die Gefangenen besuchen konnten, beurteilten die Haftbedingungen als akzeptabel.[1]

Traité de Francfort, (10 mai 1871)
Im Vertrag von Frankfurt am 10. Mai 1871 wurde Elsass-Lothringen annektiert. Erst 1918 kehrte die französische Flagge nach Straßburg zurück – Quelle: France Mémoire

Wie bei Austerlitz wurden die Offiziere, die auf den Krieg verzichteten, freigelassen; die Soldaten mussten auf die Ratifizierung des Friedensvertrags warten, d. h. es dauerte bis zum 10. Mai 1871 und der Unterzeichnung des Frankfurter Vertrags, bis die überlebenden gefangenen Soldaten nach Hause zurückkehren konnten.

In Frankreich hatte der Krieg von 1870 so schwere Folgen, dass patriotische Vereinigungen gegründet werden mussten, auch im Ausland um Familien und Verwundeten zu helfen. So wurde 1887 der Souvenir Français gegründet, dessen Hauptaufgabe es ist, das Andenken all derer zu ehren, die für Frankreich gestorben sind, unabhängig davon, ob sie Franzosen waren oder nicht.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitet das Souvenir Français täglich mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zusammen, um die Gräber der in diesen Kriegen gefallenen Soldaten zu pflegen.[2] Sie sind unsere Partner in dieser gemeinsamen Pflicht zur Erinnerung. Wie wir sind sie die Hüter dieser Erinnerung.

Joël-François Dumont à Jüterbog
Deutsche und Franzosen: eine gemeinsame Erinnerungspflicht – Foto UFE-Berlin

Den Frieden und die Ruhe wieder herzustellen, war alles andere als selbstverständlich. Ein Klima des Vertrauens zu schaffen, zu kooperieren und sich besser kennenzulernen, um sich nicht mehr zu bekämpfen, setzte voraus, dass man eine gemeinsame Vision teilte. Dies gelang Bundeskanzler Konrad Adenauer und General de Gaulle mit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags.

DMZ - Photo © Joël-François Dumont
Demilitarisierte Zone zwischen den beiden Koreas (DMZ) © European-Security.com

Wenn Sie eines Tages nach Pan Mun Jonm in der demilitarisierten Zone zwischen den beiden Koreas, der DMZ, fahren, werden Sie sehen, dass dieses deutsch-französische Modell heute bei weitem als das beste angesehen wird, das es gibt, um Völker zu versöhnen und ein durch Krieg geteiltes Land wieder-zuvereinigen.

CF Matthieu Leonelli, Attaché naval à Berlin - Photo © Joël-François Dumont
Fregattenkapitän Matthieu Leonelli entdeckt die Plakette mit Dietlind Biesterfeld, Arne Raue und Jörg Podzuweit – Foto © UFE-Berlin

Vielen Dank an all diejenigen unter Ihnen, die eine Rolle bei diesen Renovierungsarbeiten gespielt haben, vielen Dank an diejenigen, die die Idee hatten, zwei der ältesten französischen « patriotischen Vereinigungen », die als gemeinnützig anerkannt sind, an dieser freundschaftlichen Feier zu beteiligen.

Cimetière français de Jüterbog
Der Franzosenfriedhof in Jüterbog

Sie sollen wissen, dass wir Ihnen dafür dankbar sind und dass wir glauben, dass auf diese Weise, im Alltag, eine dauerhafte Freundschaft aufgebaut wird. General Sommerlat, unser Generaldelegierter mit Sitz in Frankfurt, wird es sich nicht nehmen lassen, Sie bei seinem nächsten Besuch in Berlin zu besuchen.

Wie jeder Berliner Autofahrer kannte ich die Jüterbogger Straße. Nun hatte ich dank Ihrer Hilfe die Gelegenheit, eine Stadt in Brandenburg kennenzulernen, ein Meisterwerk des Mittelalters, eine große Garnisonsstadt, die alle Kriege überstanden hat und das Andenken an die Gefallenen bewahren konnte. Vielen Dank für diese Bereicherung und für Ihre Freundschaft.

Es lebe die deutsch-französische Freundschaft und es lebe Jüterbog !

[1] Siehe Manfred Botzenhart, Französische Kriegsgefangene in Deutschland 1870-1871 , Sonderdruck aus Francia, Forschungen zur Westeuropäischen Geschichte, herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut, Paris, Bd. 21/3, 1994, Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen.

[2] Wichtigste Gedenkstätten in Deutschland — Quelle: Le Souvenir Français —