“Die deutsch-französische Freundschaft ist tief verankert im Selbstverständnis der Bundesrepublik”

Auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt der Präsident der Französischen Republik, Emmanuel Macron, vom 26. bis 28. Mai zu einem Staatsbesuch nach Deutschland. Gemeinsam besuchen der französische Präsident und Bundespräsident Steinmeier mehrere Regionen Deutschlands und heben damit die einzigartigen Beziehungen zwischen den beiden Ländern hervor. Es ist der erste Staatsbesuch – die im diplomatischen Protokoll höchste Besuchsform – eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 24 Jahren.

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Foto © Bundesregierung/Marvin-Ibo-Güngör

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender haben zu Ehren des Präsidenten der Französischen Republik, Emmanuel Macron, und von Brigitte Macron in Schloss Bellevue ein Staatsbankett gegeben.

Rede des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue, 26. Mai 2024Quelle Bundespräsidialamt, Berlin.

Staatsbankett zu Ehren des Präsidenten der Französischen Republik, Emmanuel Macron, und von Brigitte Macron, gegeben vom Bundespräsidenten und Elke Büdenbender.

Es gibt Worte im Französischen, die sind so besonders, so typisch französisch, dass es dafür keine deutsche Übersetzung gibt. Ein paar davon haben wir kurzerhand in unseren Sprachgebrauch übernommen. Von anderen Worten allerdings würde ich mir wünschen, dass wir das noch täten. Da wäre zum Beispiel die herrliche Präposition chez. Dieses kleine Wort, das unzählige französische Restaurants und Hotels im Namen tragen – wie in Chez Albert oder Chez Marcel – meint, dass man bei einer Person und gleichzeitig auch mit ihr ist. Chez, das heißt Nähe, das heißt Vertrautheit. Und es bedeutet Gastfreundschaft. Deshalb heiße ich Sie alle heute chez nous herzlich willkommen. Willkommen an einem Ort, der die jahrhundertelange Verbindung unserer beiden Länder schon in seinem Namen trägt: Schloss Bellevue. Prinz Ferdinand von Preußen empfing hier 1806 Napoleon, von einem Chez Ferdinand hätte jedoch angesichts der damaligen Beziehungen vermutlich kaum jemand gesprochen. Heute aber, da können Sie gewiss sein, wird es ein Abend bei und mit guten Freunden. Meine Frau und ich freuen uns sehr darauf!

Dass dieser Staatsbesuch, der erste eines französischen Präsidenten nach 24 Jahren, genau in dieser Woche stattfindet, ist auch eine kleine Hommage an diese enge Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Seit vier Tagen schon feiern wir im Herzen Berlins mit einem großen Fest den 75. Jahrestag unseres Grundgesetzes und damit auch den Geburtstag unserer Republik. Und es ist schön, ihn jetzt auch mit Freunden zu zelebrieren, die einen großen Platz im Herzen der Menschen in unserem Land haben.

Dass Du heute hier bist, lieber Emmanuel, freut uns nicht nur, es zeigt: Die deutsch-französische Freundschaft ist tief verankert im Selbstverständnis unserer beiden Länder.

Frankreich und Deutschland verbindet eine gemeinsame Geschichte, aber vor allen Dingen schreiben wir gemeinsam Zukunft. Das gegenseitige Interesse aneinander, das war immer schon groß, und das liegt nicht nur an der geographischen Nähe. Es liegt auch an der beiderseitigen Aufmerksamkeit für das Werk großer Philosophen, Dichter, Denker und gefeierter Künstler – wohlgemerkt beidseits des Rheins. Es gab – neben allen historischen Schatten und Belastungen – auf beiden Seiten immer eine große Begeisterungsfähigkeit für den Nachbarn. Sie hat entscheidend zur Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen beigetragen nach den tiefen Wunden zweier Weltkriege. Dass wir heute eine so tiefe Freundschaft zwischen unseren Ländern pflegen, ist vor allem der ausgestreckten Hand der Französinnen und Franzosen zu verdanken. Auf Französisch könnte man sagen, es war eine Retrouvaille: das gegenseitige Wiederentdecken, das Wiederentdecken von Anziehung und Nähe, wo zu lange Ablehnung und Distanz geherrscht hatten, das Neu-Zueinanderfinden, ja sogar: das Entdecken von Freundschaft.

Die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, sie war die Voraussetzung für ein geeintes Europa – und sie bleibt es.

[Europa] ist ein gemeinsames Abenteuer, in dem der gemeinsame Geist weht, und das wir […] weiterführen werden, so schrieb es Albert Camus in seinen „”ettres à un ami allemand”. Es waren Visionäre wie er oder wie Victor Hugo, die ein geeintes, friedliches Europa erträumten. Es waren Baumeister wie Robert Schuman, die Europas Grundsteine legten. Es sind die Ideen- und Impulsgeber, leidenschaftliche Europäer, wie Du, lieber Emmanuel, die dieses gemeinsame Abenteuer weiterführen, allen inneren und äußeren Widerständen zum Trotz, die Courage zeigen und die Weichen stellen für die Aufgaben, die noch vor uns liegen.

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Staatsbankett im Schloss Bellevue — Foto © Bundesregierung / Denzel

Deine Vision von Europa, lieber Emmanuel, hast Du vor wenigen Wochen in deiner Rede an der Sorbonne erneuert. Gemeinsam wird uns beide Europa, seine Stärke, seine Souveränität, seine Wettbewerbsfähigkeit auch in den kommenden beiden Tagen beschäftigen, bei Diskussionen über Künstliche Intelligenz oder bei unserem gemeinsamen Besuch des Fraunhofer-Instituts in Dresden.

Ich denke, ich verrate hier kein Staatsgeheimnis, wenn ich sage, dass es Dir, lieber Emmanuel, ein besonderes Herzensanliegen war, bei Deinem Staatsbesuch auch in den Osten unseres Landes zu reisen. Du bist der erste französische Staatspräsident, der im Rahmen eines offiziellen Besuchs auch ein ostdeutsches Land besucht. Das liegt auch, aber nicht nur an dem zweiten Jubiläum, welches wir Deutsche in diesem Jahr begehen: Wir feiern 35 Jahre Friedliche Revolution. Die darauffolgende Wiedervereinigung, die ohne die Unterstützung Frankreichs nie zustande gekommen wäre, hast Du nie als Risiko, sondern immer als Chance – mehr noch: als große Bereicherung gesehen. Darum freue ich mich insbesondere auf den morgigen Tag in Sachsen.

Seit beinahe dreieinhalb Jahrzehnten leben wir nun in einem wirklich geeinten Europa. Aber unser Europa von heute ist kein friedliches mehr. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist ein Angriff auf alles, worauf unser gemeinsames Europa gründet: die Gültigkeit des Rechts, die Anerkennung von Grenzen, Freiheit, Demokratie. So wie Europa nicht selbstverständlich ist, so ist es auch der Frieden nicht. Gemeinsam müssen wir wieder lernen, uns besser gegen Aggressionen zur Wehr zu setzen und unsere Gesellschaften widerstandskräftiger zu machen gegen Angriffe von außen, aber auch von innen. Du, lieber Emmanuel, hast lange vor dem russischen Angriff die Idee der europäischen Souveränität beschworen und konsequent mit großer Weitsicht und Verve vorangetrieben. Du bist ein leidenschaftlicher Europäer, unerschütterlich in der Überzeugung, dass wir gemeinsam mehr erreichen. Vor allem aber bist Du auch ein langjähriger Freund. Ich erinnere mich an viele Treffen, viele Gespräche mit Dir, schon aus der Zeit, als wir beide noch in anderen Funktionen waren. Wir sind all die Jahre immer im Gespräch geblieben über das, was sich in unseren Ländern tut, was sich gleicht, was sich unterscheidet. Wir haben viel geredet über Europa und seine Zukunft. Jede unserer Begegnungen war geprägt von Vertrauen und Verständnis. Deshalb ehrt es mich, Dir für Deinen unermüdlichen Einsatz für unser Europa am Dienstag in Münster den Internationalen Preis des Westfälischen Friedens überreichen zu dürfen.

Dein Besuch, lieber Emmanuel, ist nicht nur ein Zeichen unserer engen deutsch-französischen Freundschaft, sondern so kurz vor der Wahl zum Europäischen Parlament auch ein Signal nach Europa. Weil unser Europa nicht selbstverständlich ist, beschrieb der französische Literat Laurent Gaudé in seinem furiosen und viel beachteten Poem zu Europa seine Sorge um die gemeinsame Zukunft des Kontinents so: Europa versuchte, ein Gebilde zu schaffen, das auf Vernunft basiert, doch vergaß dabei den Lebenssaft und läuft nun Gefahr, ein großer blutleerer Körper zu werden. Um Europa mit Lebenssaft zu füllen, braucht es eben mehr als unseren Geist. Es braucht unser Herz. Es braucht unsere vereinte Kraft, wenn wir dieses Europa erhalten, wenn wir es gestalten wollen. Es braucht Leidenschaft. Es braucht vor allem die Leidenschaft der Jugend, so wie wir sie heute Nachmittag beim Besuch des Demokratiefestes – und nicht nur am Stand des Deutsch-Französischen Jugendwerks – erlebt haben. Und am 9. Juni braucht Europa auch die Stimme seiner Bürgerinnen und Bürger bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Direkt nach der Wahlkabine kommt die Umkleidekabine. Ich bin sicher: Die Fußball-Europameisterschaft der Herren in Deutschland und die Olympischen Spiele in Paris werden nicht nur die Herzen begeisterter Sportanhänger erreichen. Deutschland, Frankreich, ganz Europa wird ein Stück näher zusammenrücken, und wir dürfen uns auf einen Sportsommer freuen, wie wir ihn schon lange nicht gemeinsam feiern konnten. Ganz im Sinne von Laurent Gaudé, der am Schluss seines Poems “Wir, Europa” dazu aufruft: Kommt, beeilt euch, mit Getöse und Utopien, bringt alles mit, damit Europa wieder zur Herzensangelegenheit der Völker wird. Ich weiß, der Fußball ist eine Herzensangelegenheit der Deutschen, aber auch der Franzosen. Aber: Wir haben in diesem Jahr Heimvorteil. Ich wage deshalb, Dir zu versprechen, lieber Emmanuel – und daraus spricht natürlich auch eine Hoffnung als Fan –, unsere Elf wird Euch dieses Mal ein ernsthafterer Gegner sein als bei den letzten Turnieren.

Zum Ende meiner Rede komme ich auf den Anfang zurück: mit einem Wort aus dem Französischen, für das es keine direkte Übersetzung gibt – s’entendre. Wörtlich bedeutet es, einander zu hören, aber im übertragenen Sinne bezieht sich s‘entendre auch auf den Willen, sich zu einigen, den Wunsch, miteinander auszukommen. Zuhören und Verstehen. Und ich finde, das passt sehr gut auf die Deutsch-Französischen Beziehungen.

Et voilà! So erhebe ich nun das Glas auf Dich, lieber Emmanuel, auf Dich, liebe Brigitte, auf unsere Freundschaft und die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern.

Vive l’amitié franco-allemande!